Der Leichenschmaus

Auszug


Leseprobe zu "Der Leichenschmaus" (Karina-Verlag)

Am Tag, bevor der Fall Marlene S. aus Dinkelscherben bei Augsburg zum ersten Mal Schlagzeilen machte, war Achim nach dem Mittagessen zum Pilze sammeln in ein naheliegendes Waldgebiet aufgebrochen. Es war sein freier Tag, und er wollte bis spätestens sechs Uhr abends wieder zurü...ck sein, damit Laura etwas Leckeres aus den gefundenen Pilzen zaubern konnte. Sie wäre liebend gerne mitgegangen, doch ihr Sohn hatte einen Zahnarzttermin und brauchte außerdem ihre Hilfe bei den Hausaufgaben. Also ließ sie ihren Mann alleine losziehen.

Die Erkenntnis, dass etwas in ihrer kleinen heilen Welt nicht stimmte, holte Laura am folgenden Tag mit einer Gnadenlosigkeit ein, die ihr den Atem verschlug. Sie erinnerte sich, dass es ein sonniger Morgen war, einer jenen prachtvollen Herbsttage, an denen der Himmel so blau ist, dass er fast künstlich erscheint. Müßig blätterte sie in der Morgenzeitung und trank den Rest ihres erkalteten Kaffes. Schließlich stolperte ihre Augen im Lokalteil über die neueste Vermisstenmeldung.
Die Immobilienmaklerin Marlene S. war einundvierzig, ziemlich klein und mollig und hatte dunkles Haar. Sie hatte am Vorabend um fünf Uhr ihr Büro verlassen und wollte nach der Arbeit noch Lebensmittel einkaufen. Vom Auto aus rief sie später ihre älteste Tochter an und sagte, sie solle schon mal das Wasser für die Nudeln aufsetzen. Doch sie kam nie zu Hause an. Mehrere Faktoren wiesen besonders in diesem Fall darauf hin, dass Marlene S. mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Zum einen war sie zuckerkrank und brauchte jeden Tag ihre Insulinspritzen. Außerdem war sie noch nie über Nacht weg gewesen, wie ihre halbwüchsige Tochter beteuerte. Und dann wurde in den frühen Morgenstunden ihr Auto gefunden, am selben Fleck wie das der vermissten Claudia M. Auf dem Fahrersitz hatte man Blutspuren entdeckt.
Laura fröstelte plötzlich. Sie musste an die anderen Blutspuren denken. Die, die sie gestern Abend an Achims Jacke gesehen hatte, als er vom Pilze sammeln nach Hause kam.